Wiler Imam beantwortet unübliche Einbürgerungsfragen
OSTSCHWEIZ ⋅ Imam Bekim Alimi hält Wort und beantwortet die zwölf Fragen der Wiler GLP-Stadtparlamentarierin Erika Häusermann. Freiwillig, wie er bemerkt, aber mit Gefühlen der Demütigung. Am 5. April behandelt das Stadtparlament sein Einbürgerungsgesuch.
„Eingehend möchte ich festhalten, dass ich sowohl diesen aussergewöhnlichen Ablauf meines Einbürgerungsgesuchs als auch die gestellten Fragen als demütigend empfinde“, schreibt Bekim Alimi einleitend in seiner Beantwortung der zwölf Fragen an die GLP-Stadtparlamentarierin Erika Häusermann. „Beides zeugt von einer negativen Grundeinstellung, einer Schuldsvermutung mir gegenüber sowie Unkenntnissen der Fragestellenden bezüglich der Schweizer Muslime.“ Um seinem guten Willen Ausdruck zu verleihen und den Prozess möglichst einfach zu gestalten, beantworte er die Fragen auf freiwilliger Basis. Denn die Muslime in der Schweiz und ihre Verbände hätten stets wiederholt, die Bundesverfassung zu akzeptieren. „Ich als Imam in Wil und als Präsident des Dachverbandes habe zwei verschiedene Erklärungen, nebst den Vertretern weiterer Religionen, unterzeichnet, die Wiler Erklärung (2007) und die St. Galler Erklärung (St.Galler Erklärung, September 2005).“
Nachfolgend die Antworten von Bekim Alimi auf die zwölf Fragen von Erika Häusermann im Originalwortlaut:
Glauben Sie, dass die Frau dem Mann untergeordnet ist?
Bekim Alimi: Nein.
Darf ein Mann seine Frau schlagen, wenn sie ihm nicht gehorcht?
Nein.
Welches Mindestalter vertreten Sie für die Verheiratung von Mädchen? Wer bestimmt, wen eine junge Frau heiratet: ihr Vater, ihre Familie oder sie selbst?
Die Ehemündigkeit ist in der Schweiz per Gesetz ab 18 Jahren gegeben. Dieses vertrete ich. Diese Frage hat mehr mit der Schweizer Rechtsordnung und nicht mit einer Weltanschauung zu tun. Eine Frau bestimmt selber, wen sie heiratet.
Darf ein muslimisches Mädchen mit Buben gemeinsam schwimmen? Und darf ein muslimisches Mädchen Velo fahren?
Ja und Ja. Ich gebe seit 16 Jahren Islam-Unterricht an Wiler Schulen und man hat von keinen solchen Komplikationen gehört. Ich glaube, selber dazu einen wichtigen Beitrag geleistet zu haben.
Darf ein Muslim homosexuell, eine Muslimin lesbisch sein? Wie sollen Eltern reagieren, wenn ihre Kinder diese Veranlagung haben?
Wie Sie (eventuell) wissen, „Schwul-“ oder „Lesbischsein“ ist eine Frage des „Seins“ und nicht eine Frage des „Dürfens“. Ganz egal, welche sexuelle Ausrichtung eine Person hat und was die Religion dazu sagt, die Freiheit sowie die Person an sich müssen immer geschützt sein und respektiert werden. Eltern sollten immer für ihre Kinder da sein und diese unterstützen.
Darf ein guter Muslim Freundschaft mit Juden, Christen, Hindus und Atheisten knüpfen?
Eine ziemlich absurde Frage. Aus islamischer Sicht ist dies nicht nur ein Dürfen, sondern ein Gebot. Siehe dazu Koran 49:13: „O ihr Menschen, Wir haben euch ja von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt.“ Die Diversität ist gottgewollt, der Frieden zwischen Völkern und Religionsgemeinschaften ist für Muslime ein göttliches Gebot. Ich selber habe viele Freunde anderer Religionsgemeinschaften, darunter beide Pfarrer der Stadt Wil, und auch Atheisten. Viele davon haben uns mit ihrer Teilnahme an der Eröffnungsfeier der Wiler Moschee beehrt (die Eröffnung erfolgte am 13./14. Mai 2017, Anmerkung der Redaktion). Die albanische Kultur, in der ich aufgewachsen bin, hatte noch nie Glaubenskriege. Menschen unterschiedlichen Glaubens und Atheisten haben stets friedlich miteinander gelebt.
Wenn Ihr Sohn eine Nicht-Muslimin heiraten möchte, müsste diese zum Islam konvertieren oder würden Sie die Frau auch so akzeptieren?
Natürlich würde ich die Frau so akzeptieren. Die Religionsfreiheit ist ein wichtiger Bestandteil des islamischen Glauben. Sie dazu Koran 2:256: „Es gibt keinen Zwang im Glauben.“ Der Islam ist für mich der richtige Weg, dass muss aber jede/r für sich selber entscheiden.
Darf eine muslimische Frau ohne Kopftuch in die Moschee kommen?
Wir haben sehr viele muslimische Frauen, die die Moschee ohne Kopftuch betreten. Während der Beantwortung Ihrer Frage stand in meinem Büro eine muslimische Frau ohne Kopftuch, die mich ausgesucht hat, weil ich auch deren Probleme mir anhöre und sie unterstütze. Ich denke, dass unsere Moschee mittlerweile bekannt ist für diese Einstellung, wie übrigens die allermeisten Moscheen in der Schweiz. Die oben erwähnte Religionsfreiheit gilt auch für die Auslegung und das Mass an religiöser Praxis. Siehe dazu Koran 2:286: „Gott erlegt keiner Seele mehr auf als sie zu leisten vermag.“ Waren Sie schon mal in unserer Moschee, um sich ein Bild zu machen?
In Wil trifft man vermehrt Primarschülerinnen, welche ein Kopftuch tragen, was wohl kein Mädchen in diesem Alter freiwillig tut und was der Integration und der Erziehung zu einer selbstbestimmten Frau kaum förderlich ist. Wie erklären Sie den Eltern, dass ein Kopftuch bei Primarschülerinnen nicht akzeptiert werden kann?
Ich teile diese Ansicht nicht. Ich kenne selbstbewusste und feministische Frauen, die das Kopftuch tragen. Man darf sich nicht von der Oberfläche täuschen lassen. Schauen Sie lieber, was eine Frau im Kopf hat und was sie im Herzen trägt und nicht, was sie auf dem Kopf hat. Es gilt die Selbstbestimmung. Auch aus islamischer Sicht darf niemand zu einer religiösen Praxis gezwungen werden. Es gibt auch Mädchen, die das Kopftuch gegen den Willen ihrer Eltern tragen, was soll ich diesen Eltern sagen? Lasst uns die Jugendlichen unterstützen in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit, damit sie zu selbstbewussten Personen heranwachsen und ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten können, auch wenn uns ihre Entscheidungen nicht immer gefallen.
Wie reagieren Sie auf die Ankündigung eines jungen Muslims, einer jungen Muslimin, er oder sie möchte sich vom Islam abwenden? Dürfen sie sich vom Islam abwenden und respektieren Sie diesen Wunsch?
Wie ich mich bei verschiedenen Zeitungen vor einigen Jahren geäussert habe: Wir leben in einem demokratischen Land, wo Religionsfreiheit herrscht. Dementsprechend kann jeder und jede seine Religion ausüben oder einer anderer Religion beitreten.
In der Liberalen Moschee in Berlin dürfen muslimische Frauen Seite an Seite mit den Männern beten. Wären sie bereit, die Moschee in Wil als liberale Moschee zu führen analog der liberalen Ibn-Rushd-Goethe- Moschee in Berlin? Wenn nein, weshalb nicht? Wenn ja, bestehen bereits Pläne?
Liberal zu sein heisst für mich, alle Menschen zu respektieren, so wie sie sind, solange sie die Schweizer Gesetze und das friedliche Zusammenleben achten. Die religiöse Praxis in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee GmbH in Berlin ist dafür kein Massstab. Sie haben weder ein Monopol darauf zu bestimmen, was liberal ist, noch sollte man alle Abweichungen von den Ansichten der Gesellschafter dieser GmbH als illiberal bezeichnen. Wer die Wiler Moschee und die Gemeinde kennt, wird die Absurdität dieser Frage schnell erkennen. Eine liberale Haltung im aktiven Zusammenleben in einer Gesellschaft in all ihren Facetten auf die Art und Weise einer Gebetspraxis zu reduzieren, empfinde ich als eine Banalisierung der wirklichen Probleme in unserer Gesellschaft.
Was tun Sie, um der Bildung einer muslimischen Parallelgesellschaft mit eigenen Gesetzen entgegenzuwirken?
Gesetze werden vom Schweizer Parlament und vom Stimmvolk erlassen und das ist auch gut so. Die Muslime sind nicht interessiert an einer Parallelgesellschaft, sie geniessen das Leben in der Schweiz so, wie sie ist. Ich bete zu Gott das Gebet, das ich bei der Gotthard-Eröffnung gebetet habe: O Gott! Ich flehe um Deine Güte in diesem Land, ich flehe um Sicherheit und Brüderlichkeit. Ich flehe um Zuflucht bei Dir aus der Bosheit. O Gott! Lasse deren Einwohner sich brüderlich lieben und brüderlich leben. O Allah, ich bitte dich, so wie der Prophet Abraham dich gebeten hat: Mein Herr, mach dies zu einem sicheren Land und versorge die Bewohner dieses Landes mit Früchten und Nahrung. Amen/Amin
Nach Beantwortung der Fragen erlaube ich mir, eine Gegenfrage zu stellen: Seit zwei Jahrzehnten engagiere ich in Wil fürs Gemeinwohl, in Zusammenarbeit mit Behörden und anderen Religionsgemeinschaften. Welches Verhalten oder welche Aussage meinerseits bringt Sie dazu, mein Wohlwollen in Frage zu stellen?
Quelle: Tagblatt.ch, 20.03.2018
Bild: Hanspeter Schiess
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